4. Fetischismus Birgit Ammann Mit dem Fetischismus verbinden sich Bilder vom "perversem" Sex, für den ein anormales Angezogensein von Bekleidungsgegenständen wie hochhackigen Schuhen und enggeschnürten Korsetts oder Körperteilen wie Füßen und Haaren kennzeichnend ist. Aber die stereotype Beschreibung des Fetischismus als nur "pittoreske" sexuelle Abweichung erweist sich als Vereinfachung. Leder, Gummi, und Kampfschuhe, Tätowierungen und Piercing, all die Paraphernalien des Fetischismus, sind zunehmend zu festen Bestandteilen der Alltagsmode geworden. Das allgemeine Interesse an subkulturellen Stilelementen ist nicht neu. In letzter Zeit hat es einen qualitativen Wandel in der Aufnahme von Kleidersexualität gegeben. Unter dem Prädikat "sexuell pervers" verkauft sich heute alles: Film, Mode, Schokolade, ... Das Wort Fetischismus hat eine doppelte Bedeutung. Einmal bezeichnet es einen rätselhaften Zauber und gleichzeitig eine "fabrication, ein Artefakt, ein Produkt aus Schein und Zeichen." Der ursprüngliche Diskurs über Fetischismus war ein religiöser und anthropologischer. Missionarische Traktate über Fetischismus und Fetischanbeter verurteilten die "barbarische" Religion von Menschen, die Götzenbilder aus Holz und Ton anbeteten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bezeichnete der Begriff Fetisch bereits all das, was irrational verehrt wurde. Dann bildete sich eine zweite, marxistische Interpretation heraus. Karl Marx analysierte den "Fetischcharakter der Warenwelt" mit den Begriffen des falschen Bewußtseins und der Entfremdung. Nach Marx gewährt der Konsum von Gebrauchsartikeln eine Scheinbefriedigung. Da es ihnen an Klassenbewußtsein fehlt, versehen die Arbeiter die Arbeitsprodukte mit einem geheimen Wert, der jedes Arbeitsprodukt in eine "gesellschaftliche Hieroglyphe" verwandelt, die wieder zu entziffern ist. Alfred Binet gebrauchte in seinem 1887 in der "Revue philosophique" veröffentlichten Aufsatz "Le Fétichisme dans l'amour" den Begriff Fetischismus als erster im aktuellen, psychologischen Sinn. Das Konzept des erotischen Fetischismus wurde dann in anderen Untersuchungen über sexuelle Abweichungen aufgegriffen. So zum Beispiel von Richard von Krafft-Ebing, der Begriffe wie "Sadismus" (nach dem Marquis de Sade) und "Masochismus" (nach Leopold von Sacher-Masoch) prägte. Als der Begriff Fetischismus immer mehr Bedeutung einschloß, begannen die unterschiedlichen Diskurse sich zu überschneiden. "Fetischismus betrifft nicht nur Sexualität, sondern vor allem auch Macht und sinnliche Wahrnehmung." In der Kritik der kulturellen Konstruktion der Sexualität hat das Konzept des Fetischismus in jüngster Zeit größere Bedeutung erlangt. Arbeiten wie "Fetishisme as Cultural Discours" und "Feminizing the Fetish" komplementieren oder kritisieren die umfangreiche medizinische Literatur zum Fetischismus als eine sexuelle "Perversion". Neomarxisten analysieren den Konsumfetischismus, feministische Wissenschaftlerinnen erforschen das umstrittene Gebiet des "weiblichen Fetischismus", während Kunsttheoretiker die subversive Rolle des Fetischismus in der zeitgenössischen Kunst betonen, indem sie hervorheben, daß jeder Gegenstand, der uns sinnlich erschüttert, Fetisch sein kann. 4.1 Was ist Fetischismus? Die American Psychiatric Assocation definiert in ihrem Handbuch "Diagnostic and Statistical Manual (DSM)" Fetischismus als "wiederkehrende, sexuell intensiv erregende Phantasien, sexuelle Triebe oder Verhaltensformen, die den Gebrauch unbelebter Objekte (zum Beispiel Damenunterwäsche) mit einbeziehen." Das unbelebte Fetischobjekt ist oft, aber nicht notwendigerweise, ein Kleidungsstück: Schürzen, Stiefel, Damenkleider, Brillen gehören dazu, Handschuhe, Taschentücher, Regenmäntel und Schuhe, auch Strümpfe, Damenwäsche und Uniformen. Oft gibt es ganz spezielle Anforderungen: das Kleid soll naß oder aufgeschlitzt sein; die Schuhe hochglänzend oder knarrend. Fetisch kann aber auch ein bestimmtes Material sein, wie zum Beispiel Pelz, Seide, Leder oder Gummi, das in einer besonderen Verarbeitung begehrt werden kann oder auch nicht. Die Materialfetischisten werden in zwei Gruppen "hart" und "weich" unterteilt. Harte Fetischgegenstände - aus Materialien wie Leder und Gummi- sind häufig glatt, glänzend und schwarz, oft sind es eng einschnürende Bekleidungsstücke oder Schuhe. Weiche Fetische sind zart, gerüscht oder flaumig. Reizwäsche und Pelz sind Beispiele für weiche Fetische. Doch sind neben Kleidern auch viele andere Gegenstände als Fetisch benützt worden: Haarbürsten, Prothesen (Kunstglieder), Sicherheitsnadeln, Schnecken und Küchenschaben (der Fetischist kann sie sich auf den Körper setzen, während er masturbiert), Peitschen, Rosen und die Lenkstange eines Rennrades. Es gibt auch sogenannte negative Fetische - hier wird die Abwesenheit von etwas vorausgesetzt, was normalerweise da ist. So fühlen sich manche Männer sexuell von Amputierten oder Krüppeln angezogen. Nichtsdestoweniger sind Kleider besonders wichtig, weil sie direkt mit dem Körper assoziiert werden und weil es künstliche Objekte sind, die ersetzt, gehortet und von einer Person an die andere weitergegeben werden können. Der Duden erklärt: "Fetischismus: sexuelle Fehlhaltung bei der bestimmte Körperteile oder Gegenstände von Personen gleichen oder anderen Geschlechts als einzige oder bevorzugte Objekte sexueller Erregung und Befriedigung dienen." Der Sexualforscher Richard von Krafft-Ebing definierte im 19. Jahrhundert: "der erotische Fetischismus hat entweder einen bestimmten Körperteil des entgegengesetzten Geschlechts zum Gegenstand oder ein bestimmtes Kleidungsstück desselben oder einen Stoff der Bekleidung." Natürlich fühlen sich viele Männer von Bekleidungsgegenständen wie hochhackigen Schuhen und Seidenslips sexuell angezogen, oder sie bevorzugen Sexualpartnerinnen mit besonderen physischen Merkmalen, zum Beispiel mit großen Brüsten oder langem rotem Haar. Sind sie alle Fetischisten? Die früheren Sexologen gingen davon aus. "Wir sind alle mehr oder weniger Fetischisten", erklärte Dr. Emile Laurent 1905. "Normale Liebe", meinte auch Alfred Binet, ist das Resultat "eines komplizierten Fetischismus." Die Pathologie beginnt "in dem Augenblick, in dem die Liebe zu einem Detail vorherrschend wird." Laut Krafft-Ebing konzentriert sich im pathologischen erotischen Fetischismus das Interesse ausschließlich "auf diese Teile, neben denen alles andere am Weibe verblassen und der sonstige sexuelle Wert des Weibes au Null sinken kann, so daß statt des Koitus seltsame Manipulationen am Fetischgegenstände zum Ziele der Begierde werden." Ist der pathologische Zustand nur eine quantitative Abweichung vom Normalzustand? Ja und Nein. Fetischismus läßt sich vielleicht am besten in einem Konzept darstellen, das sich in kontinuierlicher Steigerungen entfaltet: Stufe 1: Es liegt eine schwache Vorliebe für bestimmte Arten von Sexualpartnern vor, für bestimmte sexuelle Stimuli oder bestimmte sexuelle Handlungen. Für diese Stufe sollte der Begriff Fetischismus nicht verwendet werden. Stufe 2: Es liegt eine starke Vorliebe für bestimmte Arten von Sexualpartnern vor, für bestimmte sexuelle Stimuli oder bestimmte sexuelle Handlungen. Fetischismus geringen Grades. Stufe 3: Spezifische Stimuli sind für die sexuelle Erregung und die Durchführung des Sexualaktes notwendig. Fetischismus mittleren Grades. Stufe 4: Spezifische Stimuli treten an die Stelle des Sexualpartners. Fetischismus höchsten Grades. 4.1.1 Fetischismus als männliche Norm "Fetischismus ist bei Männern die Norm, nicht bei Frauen." Das bedeutet nicht, daß Frauen an Körperteilen oder aufreizender Bekleidung kein Interesse haben. Aber diese scheinen die weibliche Begierde nicht in der gleichen Weise wie die männliche erregen zu können. Männer schwärmen für bestimmte Kleidungsstücke und Körperteile. Womöglich beschreiben sie sich selbst als bein-, busen- oder pofixiert. Ein solcher Beinliebhaber ist jedoch kein wirklicher Fetischist, es sei denn, er kommt lieber auf den Beinen seiner Partnerin als zwischen ihnen zum Höhepunkt. Obwohl Fetischismus im strengen Sinn wohl eindeutig von einer Minderheit praktiziert wird, scheinen fetischistische Anteile bei Männern allgemein üblich zu sein, mit anderen Worten: "normativ, ja normal." Eine ganze Reihe von Sexmagazinen mit Titeln wie High Heels, D-Cup und Erotic Lingerie spezialisiert sich auf extreme Stöckelschuhe, auf große Busen oder auf Reizwäsche. Doch wird Pornographie bislang nur zu einem geringen Teil speziell für einen der verschiedenen Fetische verfaßt. Nur ein sehr kleiner Personenkreis ist zur sexuellen Erregung auf solch spezifische Photos angewiesen. Doch sind Bilder von Frauen, die hohe Absätze und Reizwäsche tragen, ebenso verbreitet wie Bilder des vaginalen Geschlechtsverkehrs und scheinen so Teil einer normativen sexuellen Bildwelt zu sein. "Es gibt eine ganze Rasse erotischer Minifetischisten: nämlich fast alle Männer aus den meisten Kulturbereichen." Für Frauen ist weder der "pathologische" Fetischismus noch das "normale" Fetischisieren typisch. Wie Louise Kaplan bemerkt, "sind abgesehen von sexuellen Masochismus, wo auf etwa zwanzig Männer eine Frau kommt, in weniger als einem Prozent der als sexuelle Perversion aufgeführten Fälle die betroffenen Personen Frauen." Viele halten dies für unwahr; Ausnahmen erscheinen ihnen vorstellbar. Oder sie bestehen darauf, daß Frauen, wenn sie erst umfassend "sexuell befreit" sind, mit den Männern gleichziehen werden. Manche Frau beglückwünscht sich, daß nur Männer "pervers" seien. Alle drei Positionen zeugen von einer gewissen Naivität. "Ein sorgfältig bedachtes Argument [...] ist, daß Männer von Androgenen wie Testosteron zu Errektionen getrieben würden. Frauen dagegen seien [...] weniger geneigt, zur Lösung ihrer sexuellen und moralischen Konflikte Perversionen auszuagieren", schreibt Lousie Kaplan, räumt aber ein, daß diese Erklärung zuviel Gewicht auf biologische Faktoren legt. Psychiater suchen nach weiblichen Fetischisten, Transvestiten, Sadomasochisten und Exhibitionisten, verkennen aber die Möglichkeit, daß Frauen ihre eigenen Perversionen haben. "Die männlichen Perversionen verwenden eine manifeste Form des abartigen Sex zur Beschwichtigung der persönlichen Dämonen." Im Gegensatz dazu, behauptet Lousie Kaplan, können "sexuelle Verhaltensweisen als solche, mögen sie nun abartig sein oder nicht, [...] nicht als Schlüssel zu den weiblichen Perversionen dienen." Interessant ist hier eine persönliche Erfahrung. All meine männlichen Bekannten reagierten mit Begeisterung darauf, wenn ich ihnen von diesem Seminararbeitsthema erzählte. Sie wollten mehr und Genaueres erfahren und meinten, daß sie einige Anregungen "in ihr Sexualleben mitnehmen würden". Meine weiblichen Bekannten reagierten mit schockiertem Ekel, fanden das Thema widerlich. 4.1.2 Die phallische Frau "Der Fetisch", schreibt Freud, "ist der Ersatz für den Phallus des Weibes (der Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es [...] nicht verzichten will. [...] denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener Penisbesitz bedroht." Kleine Jungen und Mädchen sollen angeblich eine Phase durchlaufen, in der sie glauben, daß zumindest manche Frauen (wie ihre Mütter) einen Penis haben. Kaplan beschreibt den Fetischismus, obwohl sie Freud im wesentlichen folgt, lebendiger und möglicherweise auch überzeugender: "Der kleine Junge, der seine Mutter mit einem Ersatzpenis ausstattet, entwickelt nur eine vorläufige Phantasie über das grotesk anmutende Genitale, das der erwachsene Fetischist als Schuh oder Pelzstückchen greifbar macht. Die Empfindung des kleinen Jungen besteht aus einem vagen, undeutlichen Bild und ist nur eine behelfsmäßige Lösung für einige der unvermeidlichen Kindheitsprobleme. Der Gegenstand, den der Fetischist benutzt, um zu Errektion und Penetration fähig zu sein, ist durchaus greifbar und stellt den verzweifelten Versuch der Überwindung eines lebenslänglichen Traumas dar. Freud hat als erster festgestellt, daß kleine Jungen aus ihren Theorien über Sexualität hinauswachsen können und sie vergessen, aber sie werden sie niemals ganz aufgeben. Die Theorien werden zwar unterdrückt und zeitweilig aus dem Bewußtsein verdrängt, aber als unbewußte Phantasien bestehen sie fort und sind immer bereit, ins Bewußtsein zurückzukehren, wenn die Männlichkeit des Mannes bedroht ist." Nach Freud besteht für den erwachsenen Fetischisten nur ein Weg, "die Entfremdung gegen das wirkliche weibliche Genitale" zu überwinden, nämlich "indem er dem Weib jenen Charakter verleiht, durch den es als Sexualobjekt erträglich wird." Das Fetischobjekt bezeichnet demnach den Triumph über die Kastrationsdrohung und den Schutz vor ihr. Nach Ansicht des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan ist der Phallus nicht mit dem Penis gleichzusetzen, obwohl wir dazu neigen, beide Wörter synonym zu verwenden. Während nämlich der Penis, er mag besonders eindrucksvoll sein oder nicht, ein Teil des männlichen Körpers ist, stellt der Phallus das ewig errigierte Symbol von Macht und Potenz dar. Weder Männer noch Frauen "haben" den Phallus, aber beide wünschen sich das, wofür er steht. Die Theorie, die phallische Frau sei "als Phantasie in Perversionen allgegenwärtig" darf nicht als eindeutig bewiesen angesehen werden. Betrachtet man allerdings einige Fetische, so erkennt man, daß dies häufig der Fall ist (bzw. sein kann). Es gibt jedoch einige Probleme und Lücken in der klassischen Freudschen Theorie. Fetischobjekte werden nicht zufällig ausgewählt und Freud stellte sich die berechtigte Frage, warum bestimmte Objekte, wie Schuhe, Pelz und Unterwäsche, so häufig als Ersatz für den abwesenden weiblichen Phallus ausgewählt werden. Er schlug vor, daß es womöglich einen Zusammenhang mit dem letzten Moment, "in dem man das Weib noch für phallisch halten durfte", geben könnte. Insofern halten "die so häufig zum Fetisch erkorenen Wäschestücke [...] den Moment der Entkleidung fest." Pelz wird mit dem Schamhaar, das eigentlich einen Penis enthüllt haben sollte, assoziiert. Schuhe rufen den Moment zurück, in dem der kleine Junge unter den Rock der Mutter geschaut hat. Neue Untersuchungen haben jedoch den überdeterminierten Charakter der Fetischauswahl erarbeitet. Freuds Gedanke, daß der Fetisch den Fetischisten daran hindere homosexuell zu werden (indem er den sonst furchterregenden Anblick der weiblichen Genitalien kompensiert), hält in der Erfahrung nicht stand: "[...] wenn der Fetisch nichts anderes wäre, als ein Ersatz des mütterlichen Penis, da das Subjekt unfähig wäre, den Anblick des kastrierten weiblichen Genitales zu ertragen, der in ihm Kastrationsangst erweckt, dann sollte diese Angst bei einem Mann, dessen Sexualpartner ein anderer Mann ist, nicht vorhanden sein." Aber es gibt sowohl homosexuelle als auch heterosexuelle Fetischisten. Der Fetisch mag zwar ein Ersatz für den mütterlichen Penis sein, doch das erklärt ihn nicht vollständig. Die klassische Freudsche Theorie liefert eine unzulängliche Erklärung des Fetischismus, da sie den Kastrationskomplex in einem (zu) engen Sinn versteht, wie sich an der Einschätzung der weiblichen Genitalien zeigt. (eben als kastrierte männliche Genitalien). Dagegen schlägt die französische Psychoanalytikerin Janine Chasseguet-Smirgel vor, "den eigentlichen Begriff der Kastration zu erweitern, um ihn zu dem, was ihm vorausgeht, in Beziehung zu setzen: der Trennungsangst." "Der Fetisch ist die Sammelstelle aller Teilobjekte, die das Subjekt im Laufe seiner Entwicklung verloren hat." Allerdings wird die psychologische Erklärung des Fetischismus zunehmend in Frage gestellt. 4.1.3 Die "Erfindung" des Fetischismus Fetischismus hat genau wie Pornographie eine eigene Geschichte. Obwohl fast jede "perverse" Handlung, die uns heute bekannt ist, schon zur Zeit des Römischen Reiches existierte, besagt das nicht, daß es Fetischismus schon immer gegeben hat. Es gibt dazu zwei Theorien. Die erste behauptet die Universalität des Fetischismus - oder zumindest seine mehrtausendjährige Existenz in vielen Kulturen. Im Gegensatz dazu erklärt die zweite Theorie, daß sich der Fetischismus nur in modernen westlichen Gesellschaften entwickelt habe. Für beides gibt es Belege. Modifikationen des Körpers und Cross-dressing werden in vielen Kulturen rituell praktiziert. Körperteile und Kleidungsstücke wurden in großem Umfang fetischisiert. So ließ sich der römische Dichter Ovid vom Reiz weiblicher Füße hinreißen, und das Einbinden der Füße bei den Chinesen zeigt viele Merkmale des Fetischismus. Wenn auch die meisten Männer der meisten Kulturen fetischisierten, so scheint Fetischismus im heutigen Verständnis zuerst im Europa des 18. Jahrhunderts aufgetreten zu sein, um sich dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als eigenständiges sexuelles Phänomen herauszukristallisieren. Das 18. Jahrhundert war eine Periode des Übergangs, in der sich die traditionellen sexuellen Positionen und Verhaltensweisen auf die modernen Muster hin entwickelten. Da Gedankenfreiheit und sexuelle "Libertinage" miteinander assoziiert wurden, lösten Formen expliziter Erotik zunehmend Irritation aus. Nach und nach richteten die Menschen ihr Denken auf sexuelle Identitäten statt wie vormals auf sexuelle Handlungen. Die Entwicklung des Kapitalismus und die Urbanisierung in Europa schufen eine Umgebung, in der Fetischisten sich allererst als solche wahrnahmen und untereinander Kontakt aufnehmen konnten. Und doch spielen auch biologische Faktoren eine Rolle für den Fetischismus. 4.1.4 Die Evolution des Fetischismus Sexualität ist sowohl ein Produkt der Geschichte als auch eines der Natur. Das menschliche Sexualverhalten wird durch biologische Faktoren mitbestimmt. "Weder Geschichte noch Psychoanalyse können zufriedenstellend erklären, warum der Fetischismus, wie die anderen "Perversionen", unter Männern soviel verbreiteter ist als unter Frauen. Soziobiologische Erklärungen bieten sich an, die solche Fragen evolutionstheoretisch, genetisch und durch Hormone erklären. Obwohl viele diesen Standpunkt mit Blick auf mögliche politische Implikationen ablehnen, scheint es doch kaum noch Zweifel zu geben, daß nicht nur unser Körper und unsere Genitalien, sondern auch unser Bewußtsein geschlechtlich determiniert ist." Männer und Frauen haben ein unterschiedliches Verständnis zu Liebe und Sex. Die Grundsätze der Sozialbiologie (oder der evolutionären Psychologie) erklären, daß sich vieles in unserem sexuellen Verhalten durch den Darwinschen Prozeß der natürlichen Auslese entwickelt hat. Denn auf lange Sicht diente das der Anpassung. Wichtig ist dabei die Beobachtung, daß sich die sekundären Geschlechtsmerkmale zu ihrer aktuellen Gestalt entwickelt haben, um die Fortpflanzungstauglichkeit anzuzeigen. Diese Information mag im Einzelfall wahr sein oder nicht, wenn sie nur öfter wahr ist als falsch, wird sie evolutionären Faktor. Wenn sich heterosexuelle Männer demnach von Frauen mit großem Busen, schmaler Taille und weicher Haut angezogen fühlen, so deshalb, weil diese Merkmale mit jungen, gebärfähigen Frauen von größtmöglicher Fortpflanzungskapazität assoziiert sind. Unsere männlichen Ahnen, die vorpubertäre Mädchen oder ältere Frauen bevorzugten, verloren in dieser genetischen Konkurrenz. Männliche Säugetiere, die frei sind von den Lasten der Geburt und des Säugens, können ihr genetisches Vermächtnis maximieren, indem sie sich mit möglichst vielen Weibchen paaren. Unter den Menschen scheinen daher Männer überwiegend visuell orientierte Muster zur Erlangung sexueller Erregung entwickelt zu haben. - eine Folge der ständigen Wachsamkeit, jede sich bietende Paarungsgelegenheit mit "attraktiven", d.h. offenbar fortpflanzungsfähigen, Frauen wahrzunehmen. Die männliche Tendenz zur sexuellen Erregung durch visuelle Signale deutet wiederum darauf hin, daß die menschliche Fetischbildung biologische Wurzeln haben könnte. Der Psychologe Glenn Wilson schreibt dazu: "Es ist möglicherweise kein Zufall, daß die Gehirnregion, die für die durchsetzungsfähige männliche Sexualität verantwortlich ist, in einem Teil des Hypothalamus angesiedelt ist, der dicht am visuellen Aufnahmesystem liegt. Wenn die männliche Sexualität sich zu ihrem Zielbewußtsein entwickelt hat, so mag das einer der Gründe sein, warum gerade Männer besonders anfällig sind für jene Verzerrung der sexuellen Neigung, die wir als Paraphilien bezeichnen." Wilsons Untersuchungen über sexuelle Phantasien enthüllen auffällige Unterschiede zwischen den Geschlechtern, darunter fällt die in männlichen Phantasien weit ausgeprägtere Betonung visueller, voyeuristischer und fetischistischer Themen. In Männerphantasien figurieren häufig Kleidungsstücke wie beispielsweise "schwarze Strümpfe und Hüfthalter, Reizwäsche, Leder oder Krankenschwesterntracht; ein Beispiel wäre die jungfräuliche Sechzehnjährige in Schuluniform mit kurzem Rock." Männer haben solche Phantasien offenbar zweieinhalb mal so oft wie Frauen. Man mag spekulieren, daß solche Kleidungsstücke (zumindest für manche Männer) tatsächlich die Funktion künstlicher sekundärer Geschlechtsmerkmale haben, die ihnen als Indikatoren dafür dienen, wie sexuell begehrenswert und verfügbar eine Frau ist. Die immer überzeugendere Beweisführung der Evolutionspsychologen, daß sich das menschliche Sexualverhalten durch natürliche Auslese entwickelt habe, schließt nicht aus, daß individuelle Verhaltensweisen mannigfaltige und komplexe Ursachen haben können, einschließlich spezifischer organischer Verletzungen beziehungsweise krankhafter Veränderungen. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts begann man die Verbindung zwischen Veränderung im Gehirn (organische Gehirnschäden) und "sexueller Psychopathologie" medizinisch zu erforschen. Arthur Epstein untersuchte zum Beispiel "dreizehn Fälle von Fetischismus oder fetischistischem Transvestismus; von den Patienten wiesen neun ein abnormales Elektroenzephalogramm, zwei Anfallsleiden auf, und bei weiteren fünf lagen klinisch nachweisbare Gehirnschädigungen vor." In der Literatur fand er verschiedene Fälle in denen zusätzlich Epilepsie vorlag. Probleme entstehen bei organischen (biologischen) Erklärungen, die sich ausschließlich auf das Gehirn als physisches Organ konzentrieren und das Bewußtsein, welches von ihm erzeugt wird, völlig ignorieren. Physiologische Dysfunktionen des Gehirns ( insbesondere der des Temporalhirns) können zwar in einigen Fällen von Fetischismus oder anderen Formen zwanghaften Verhaltens eine Rolle spielen. Nachweislich gibt es aber zumindest "zwei mögliche Ätiologien: eine, die in einem verletzten Gehirn beginnt, und eine andere, die [...] antwortet vor allem auf eine psychologische Erfahrung." 4.1.5 Zusammenfassend: Viele Psychologen sind heute überzeugt, daß die Freudschen Theorien kaum wissenschaftliche Gültigkeit besitzen. Sie setzten mehr Vertrauen in neurologische Faktoren, da das Überwiegen von Paraphilien bei Männern zumindest teilweise durch genetische, hormonelle und evolutionäre Faktoren erklärt werden könne. "Untersuchungen haben gezeigt, daß es möglicherweise eine genetische Disposition für die SM- und TV-Charakteristik geben kann, deren Vorliebe für Leder und Gummi vollständig erlernt erscheint", schreibt die Psychologin Chris Gosselin. "Auch scheinen manche Menschen mehr als andere für solche Konditionierungen disponiert zu sein - ihr Bewußtsein ist so beschaffen". Ob ein Individuum diese "genetische Karte" ausspielt oder nicht, wird von seinen Lebenserfahrungen abhängen. Fetischismus wird im allgemeinen als eine "Art Zwang" angesehen, "eine Kombination unüblicher Gehirnverdrahtungen und abweichender Konditionierungen", etwa einer "restriktiven Sexualerziehung". In vielen Fällen scheint der Fetischismus eine Übertreibung oder eine Perversion von Merkmalen zu beinhalten, die der Fetischist mit den meisten anderen Männern teilt. Bestimmte Formen des manifesten Fetischismus haben sicher mehr als eine Ursache. 4.2 Schuhe Auf viele Menschen üben hochhackige Schuhe einen unwiderstehlichen Reiz aus. "Ich bin Schuhfetischistin, gestand mir stolz eine Modejournalistin und wollte damit lediglich ausdrücken, daß sie Schuhe liebte." Etwas von Imelda Marcos steckt in vielen Frauen. Und viele Männer zeigen fast Pawlowsche Reflexe, wenn sie eine Frau auf hohen Absätzen erblicken. Sind sie deshalb alle Fetischisten? Wie unterscheidet sich echter "Hard-core-Fetischismus" von der verbreiteten Schwärmerei für "sexy" Schuhe? Füße und Schuhe spielen eine immens wichtige Rolle in der erotischen Imagination. In China, wie auch bei uns im Westen, wurden kleine Füße mit weiblicher Schönheit assoziiert, während große Füße und schwere Stiefel mit Männlichkeit gleichgesetzt werden. Der historische "Ausflug" nach China zu dem Binden der Füße ist äußerst interessant, denn hohe Absätze können durchaus mit den gebundenen Füßen verglichen werden. 4.2.1 Der goldene Lotus Die Praxis der gebundenen Füße in China weist viele Merkmale eines kulturellen Quasi-Fetischismus auf. Die erotische Literatur Chinas enthält die Beschreibung von Männern, die gebundene Füße liebkosen, küssen und mit der Zunge lecken. Der 7,5 cm lange "goldene Lotus" wurde als erotisches Ideal gefeiert. "Betrachte sie in deinen Handflächen liegend", schrieb ein Dichter der Sung-Periode, "wundervoll winzig entziehen sie sich jeder Beschreibung." Auch die unsicheren Schritte der Frau hielt man für sexuell attraktiv. Gleichzeitig glaubte man, daß das Schnüren der Füße die Muskeln der Vagina straffen würde. Das Binden der Füße wurde von der westlichen Welt als grausame Form weiblicher Unterdrückung und/oder als pervertierte Sexualvariante bewertet. Mittlerweile wurde das ursprüngliche Bild, das durch westliche Missionare und erotische Literatur "zu uns gekommen ist", durch die Wissenschaft revidiert. Dorothay Ko zeigt auf, "daß die Praxis, die Füße einer Frau zu binden, nicht als eine monolithische, identische Erfahrung zu sehen ist, der sich alle Frauen der einander ablösenden Dynastien zu unterziehen hatten, sondern daß es ein amorpher Brauch war, der für verschiedene Leute verschiedene Bedeutung hatte. [...] Es ist, mit anderen Worten, eine lokale Praxis." Wie es scheint, entstand der Brauch, den Frauen die Füße zu Binden, am chinesischen Kaiserhof im Laufe des zehnten Jahrhunderts und betraf zuerst die Tänzerinnen. Ursprünglich bedeutete das wohl nicht mehr, als feste Socken - vielleicht ähnlich den Ballettschuhen - zu tragen. Unter der Sung-Dynastie verbreitete sich diese Sitte als ein Art Statussymbol in gehobenen Kreisen. Zu dieser Zeit gestaltete sich das Binden der Füße bereits körperlich deformierend. Im 14. Jahrhundert hatte sich das Binden der Füße schon bei der Landbevölkerung durchgesetzt. Es verschwand erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Binden der Füße war eine schmerzhafte Prozedur, die die körperliche Beweglichkeit der Frau stark beeinträchtigte. Die vier kleinen Zehen wurden unter den Fußballen gepreßt, so daß nur noch der große Zeh hervorschaute. Der Vorderfuß und die Ferse wurden so gegeneinander gedrückt, daß der große Zeh nach unten und der Fersenknochen nach vorne geschoben wurde. Die Knochen wurden gebrochen. dadurch formte der Spann einen hohen Bogen, was gleichzeitig die Sohle des Fußes tief spaltete. In der Silhouette entstand der Eindruck eines hochhackigen Schuhs. Der sexuelle Symbolcharakter erscheint eindeutig, und wirklich zeigt die erotische Literatur, daß der große Zeh beim Liebesspiel als Penissubstitut, die Sohlenspalte dagegen als Pseudo-Vagina Verwendung fand. "Der Mann steckte den ganzen Fuß in den Mund, während die Frau umgekehrt den Mann stimulierte, indem sie seinen Penis mit ihren Füßen berührte." Auch der Schuh war ein Schwerpunkt der erotischen Aufmerksamkeit. Angefertigt aus hellfarbiger, bestickter Seide und oft parfümiert, umhüllte er Fuß und Knöcheln und wurde in verschiedene Rituale, zum Beispiel Trinkspiele, einbezogen. 4.2.2 Eine übertriebene Erotik Die allgemeine Vorstellung vom 19. Jahrhundert fokussiert eine sexuelle Unterdrückung, die die viktorianische "Prüderie" hervorgebracht und die wiederum zu unzähligen Perversionen geführt habe. "Die Kampagne zur Verhüllung des Beines war so effektiv, daß Männer um die Mitte des Jahrhunderts schon durch den flüchtigen Anblick eines weiblichen Knöchels in Erregung gerieten", schrieb der Historiker Stephen Kern. "Das zu dieser Zeit gehäufte Auftreten von Fetischen, zu denen Schuhe und Strümpfe gehören, dient als weiterer Hinweis auf eine übertriebene Erotik, die dadurch hervorgerufen wurde, daß man die untere Hälfte des weiblichen Körpers dem Auge entzog." Philippe Perrot ist ebenfalls der Ansicht, daß "im 19. Jahrhundert Busen und Gesäß der Frau betont wurden, während die Beine völlig versteckt blieben, um so aus den Wogen von spitzengesäumter Unterwäsche ein erotisches Kapital zu gewinnen, dessen Zinsen sich am Kult um die Wade messen lassen und an der Erregung, die der flüchtige Anblick eines Knöchels hervorrief." Falsch und stereotyp ist die Annahme, daß die langen Röcke der viktorianischen Zeit den weitverbreiteten Fuß- und Schuhfetischismus hervorgebracht hätten. Die Röcke der weiblichen Mode waren über Jahrhunderte hinweg lang - im freizügigen Paris des 18. Jahrhunderts genauso wie im angeblich prüden London der viktorianischen Zeit. Beine wurden ganz selbstverständlich für attraktiv gehalten. Außerdem gibt es keinen Grund anzunehmen, im 19. Jahrhundert sei Fuß- und Schuhfetischismus üblicher gewesen als heute. Nicolas Restif de la Bretonne (1734 - 1806) kam der Vorstellung eines "wahren" Fetischisten im heutigen Verständnis sehr nahe, wenn er in seinem Roman "Le Pied de Fanchette" beschreibt, wie der Erzähler die rosenfarbenen Pantoffeln der Ehefrau seines Patrons stiehlt, die mit ihren kleinen rosa Zungen und grünen Absätzen so verführerisch wirken: "Während ich meine Lippen auf eines dieser Schmuckstücke preßte, ersetzte mir das andere, das Heiligste der Natur betrügend, im Überschwang das Objekt der Begierde." Mit anderen Worten, während er eines dieser 'Schmuckstücke' küßte, ejakulierte er in das andere. 4.2.3 Der Kult der hohen Absätze Die Höhe der Schuhe hat ebenso wie ihre Größe erotische Bedeutung. Der aufsehenerregendste Schuh der Renaissance war der venezianische "chopine", ein enorm hoher Plateauschuh, der insbesondere von Kurtisanen getragen wurde. Plateauschuhe - für Männer und Frauen - gab es in vielen Kulturen und ihre Bedeutung war keinesfalls auf die Erotik beschränkt. Indem sie die Gestalt des Trägers vergrößern, können sie einen hohen Rang bezeichnen. Wenn sie nicht zu hoch sind, können Plateauschuhe, wie der japanische "geta", auch die Funktion haben, den Träger davor zu bewahren, auf der Straße mit Matsch und Schlamm in Berührung zu kommen. Oder der griechische "Kothurn" diente in erster Linie den Theateraufführungen. Die Schauspieler wurden größer und somit auch von den letzten Reihen des Amphitheaters besser erkennbar. Aber ohne Frage schränken sehr hohe Schuhe die Bewegungen des Trägers ein, eine Form von Bondage, die manche Leute erotisch finden. Lange bevor die Mode den hohen Absatz betonte, taten es die Fetischisten. Logischerweise vertraten sie Absatzhöhen, die deutlich über der modischen Norm lagen "Oh das Klacken dieser Stelzen und Absätze auf dem harten Fußboden! Ach, die Ekstase - diese unbeschreibliche Ekstase, die durch meine Adern pulsierte, wenn ich dahinschritt. Oh, die Freude - diese unaussprechliche Freude -, die mich verzehrte, als die Spiegel an der Wand die königliche Höhe und den aufrechten Stolz zurückwarfen, mit denen ich dahinstöckelte!" Von jemanden der solche Schuhe trug, wurde nicht unbedingt erwartet, daß er auch damit laufen konnte. Träger oder Trägerin standen wie beim Ballett auf der Spitze - mit radikal überdehntem Spann - und konnten kaum humpeln. Ein Wiener Fetischschuh aus der Zeit der Jahrhundertwende hatte einen unmöglich hohen Absatz, der dazu gedacht war, wie ein Dildo in den Anus des Fetischisten eingeführt zu werden. Die fetischistische Pornographie beschreibt oft, wie der Mann von den hohen Absätzen der Frau zerkratzt, gestochen und penetriert wird. 4.2.4 Der Schuh als Waffe und Wunde "Mit einem hochhackigen Schuh bekleidet wird der Fuß zu einer mysteriösen Waffe, die den passiven Mann bedroht, der triumphiert, so überwunden zu werden." Der hochhackige Schuh ist "ein Symbol der Liebe" - ebenso aber ein "Symbol der Aggressionen". Er bedeutet Macht. Er zeigt Überlegenheit an. Der Mann, der hohe Absätze anbetet, "demütigt sich tatsächlich vor dem überlegenen Geschlecht". Er betrachtet die Frau mit solcher "Ehrfurcht und Hochachtung", daß diese unberührbar erscheint und er sich dankbar fühlt, ihre Schuhe küssen zu dürfen, indem er darin eine befriedigende "Form der Erniedrigung findet". Richard von Krafft-Ebing nahm an, daß "die meisten Fälle von Schuhfetischismus auf [...]masochistische Selbstdemütigungstrieben beruhen." Herr X. zum Beispiel hat die "wollüstig betonte Vorstellung, sich von einem Weibe mit dem Absatz treten zu lassen und in kniender Stellung des Weibes Schuh zu küssen." Ein anderer Fetischist schreibt: "Die Rockränder müssen genügend erhoben sein, um mir den Anblick der Füße und eines nicht geringen Anteils der Knöchel zu gestatten, aber durchaus nicht bis zum Knie oder darüber, denn dann wird die Wirkung sehr gering. Das Treten muß einige Minuten lang geschehen und zwar auf Brust, Abdomen, Inguinalgegend, zuletzt auf den Penis, der in heftiger Errektion ist. Ich habe übrigens auch Genuß daran, wenn mir durch einen Frauenfuß die Kehle zugedrückt wird." 4.2.5 Der gestiefelte Master In pornographischen Romanen wie "Boot Licker", "Boot-Licking-Slave" und "Booted-Master" kommen weder Straß, Seide noch Stilettabsätze vor, aber die Titel geben einen Eindruck dieses Genres, in dem Stiefel einen großen Penis symbolisieren. Stiefel mit schweren Sohlen und Absätzen, die nach Schweiß und Leder riechen, gelten als ultra-maskulin: "Der schwarzlederne Bauernstiefel ist der Stiefel für Männer, die wissen, daß ein Mann ist, was er an den Füßen trägt. Ein Junge muß sich die Männerstiefel erst verdienen." In "Booted Master" mokiert sich Nino, ein echter Motoradtyp, über Brians feminine Schuhe: "Turnschuhe! Ach Du liebe Muschi! Vielleicht hast Du unter Deinen Jeans auch noch rote Satinschlüpfer an?" Motoradclubs haben, wie Nino erläutert, einen Kleidercode, so wie in anderen Kreisen von einem Mann Krawatte und Jackett verlangt werden, wenn er ein elegantes Restaurant besuchen will, oder einen bestimmten Kleiderstil, um in eine Nobeldisco wie das Studio 45 in New York eingelassen zu werden. Er fesselt Brian und schnürt ihm einen Turnschuh um die Genitalien, um ihm so eine Lehre über Stiefel zu erteilen. Anschließend folgt eine Szene, in der die Stiefel geleckt werden müssen. "Sie werden zu Spiegeln, du kannst hinunterschauen und dein Schwanz spiegelt sich in ihnen wider. Sie schmecken nach Straße, Leder, Sperma, Scheiße und Pisse." 4.2.6 Schuhe und Sex "Viele Nahaufnahmen schöner Füße, die in sexuell aufregenden Stöckelschuhen hinein und wieder hinausschlüpfen", verspricht ein Inserat, das für Fetischvideos wirbt. Der Schuh kann sowohl symbolischer Ersatz des Penis als auch der Vagina sein, in die der phallische Fuß eingeführt wird. Freud nahm an, daß der Schuh fetischisiert wird, weil er das letzte (akzeptable) Ding sei, das der Junge, wenn er unter dem Rock seiner Mutter aufsah, erblickte, bevor seine Augen den furchterregenden weiblichen Genitalien begegneten. Ernest Becker meint dagegen in "The Denial of Death", daß "Der Fuß die eigene Furcht ist; und darüber hinaus wird er von seine eigenen verblüffenden und transzendierenden Verneinung und seinem Gegensatz begleitet - dem Schuh." Auch andere Körperteile haben korrespondierende Fetischobjekte: Die Genitalien sind durch Unterwäsche verhüllt, den fleischigen Torso und die Brüste schnürt das Korsett, aber Schuh und Fuß bilden eine besonders bemerkenswerte Einheit. Während im Fuß ein niedriger und schmutziger "Zeuge unserer entwürdigten Tiernatur gesehen wird", ist der Schuh - aus poliertem Leder, spitz zulaufend, elegant geschwungen und gewölbt, vom Boden durch einen schmalen, harten Absatz abgehoben - "das dem Körper 'Nächste', aber nicht der Körper." Fetischismus meint Becker, "repräsentiert die Angst vor dem Sexualakt", und der Fetisch selbst dient als eine Art "magischer Zauber", der die angsteinflößende Realität des sichtbaren "Fleisches" in etwas "Transzendentes" verwandelt. Angst vor dem Vollzug des Sexualaktes tritt bei Männern auf und mag einer der Gründe sein, warum Fetischismus fast immer eine männliche Perversion ist. Wenn eine Frau vor der Sexualität Angst hat, wird sie möglicherweise "frigide"; aber sie kann einen Orgasmus vortäuschen. Das Versagen des Mannes ist schwerer zu verbergen. Daher hypnotisiert er sich mit dem Fetisch und schafft sich seine eigene auratische Verzauberung, die die erschreckende Realität vollständig verwandelt. "Der Fetisch wirkt als magischer Zauber." Krafft-Ebings "Psychopathia sexualis" von 1886 beschreibt den Schuhfetischismus in zahlreichen Fallgeschichten. Anekdotisch sei hier nur kurz eine angeführt: Beobachtung 116. Schuh-Fetischismus. Herr von P., aus altadeligem Geschlecht, 32 Jahre, konsultierte mich 1890 wegen 'Unnatürlichkeit' seiner Vita sexualis.[...] 17 Jahre alt, habe ihn eine französische Gouvernante verführt, jedoch Koitus nicht gestattet, so daß nur gegenseitige mächtige Erregung der Sinnlichkeit (mutuelle Masturbation) möglich war. Mitten in dieser Situation fiel sein Blick auf die hocheleganten Stiefeletten dieser Person. [...] Während dieser Attouchements wurden ihre Stiefeletten zum Fetisch für den Unglücklichen. [...] Er hieß die Gouvernante seinen Penis mit ihren Schuhen berühren, was umgehend eine Ejakulation, begleitet von lustvollen Gefühlen, hervorrief. [...] Sinnlich erregte ihn im Verkehr mit dem anderen Geschlecht nur der Schuh und zwar der elegante, glänzend schwarz. Wenn Herr von P. auf der Straße Frauen mit solchen Schuhen sah, war er so heftig erregt, daß er masturbieren mußte. [...] Die renommiertesten Ärzte rieten ihm zur Heirat, aber die Brautnacht war schrecklich; er fühlte sich wie ein Verbrecher und ließ seine Frau unberührt. [...] Nun kaufte er ein Paar elegante Damenstiefel, versteckte sie im Ehebett, und indem er sie während der ehelichen Umarmung betastete, konnte er nach wenigen Tagen seiner ehelichen Pflicht genügen. 4.2.7 Zusammenfassend Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, ob tatsächlich oder symbolisch, ist offenbar das Entscheidende für die Fetischwirkung des Schuhs. Hohe Absätze mindern die Bewegungsfreiheit - eine Art Frauen zu fesseln, die manche erotisch finden - während die gefährlich aussehenden Formen den Mann erregen, der es genießt, bedroht zu werden. 4.3 Zusammenfassung Viele der Eigenschaften, die man normalerweise mit weiblicher Attraktivität verbindet, werden durch hochhackige Schuhe akzentuiert, da sie sowohl den Gang als auch die Haltung der Trägerin beeinflussen. Der untere Teil des Körpers wird angespannt und dadurch werden die Bewegungen von Hüfte und Gesäß betont und der Rücken durchgedrückt, so daß sich der Busen wölbt. Hohe Absätze ändern auch die Kontur des Beins, indem sie die Rundung der Wade betonen und Knöchel und Fuß nach vorne kippen und so der Eindruck verführerisch langer Beine entsteht. Aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen, erinnert der hochhackige Schuh auch an die Scham. Möglicherweise gibt es Gründe, daß Fetischisten so ausgesprochen visuell ansprechbar sind. Schwarzglänzende Lederschuhe fesseln das Auge und schwarze Strümpfe kontrastieren mit der weißen Haut. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß die Muster männlicher Erregung mehr von optischen Eindrücken abhängen, als die der weiblichen. Kleinkinder können ja den Schwarzweißkontrast früher wahrnehmen als Farbe. Vielleicht prägen sich Männer früh solche Kontraste ein, die Körperteile voneinander abgrenzen. Auch ist die männliche Erregung exakt definiert, weil der Penis unmittelbar reagiert. Auch viele Frauen lieben und sammeln Schuhe voller Hingabe. Jedoch hat diese weibliche Begeisterung selten mit den spezifisch erotischen Praktiken männlicher Schuhfetischisten zu tun, auch nicht mit der unwillkürlichen Reaktion normal fetischisierender Männer. (Frauen haben höchst selten einen unfreiwilligen Orgasmus, wenn sie einen Mann in hübschen Schuhen sehen.) Auch scheinen Frauen keine mit denen der männlichen Schuhfetischisten vergleichbaren Phantasien zu haben. Dennoch haben Schuhe auch für Frauen fühlbare Reize. So erzählt Ann Magnuson: "Meine Knöcheln knackten [...] und meine Achillessehnen zogen nach hinten. [...] Als ich so die Straße hinunterhumpelte, wurde ich mir meines Körpers deutlich bewußt. Mein Busen ragte nach vorn, während mein Rücken stark überdehnt wurde. Mein Hintern fühlte sich an wie ein Straßenkreuzer, und meine Hüften, besser gesagt, meine 'Flanken' schwangen vor und zurück wie zwei Rinderkeulen. [...] Machen uns solche Schuhe ohnmächtig? Versklaven Sie uns? Sind wir hilflos, wenn wir sie tragen? Die Antwort ist ja! Ja! Natürlich! Was gäbe es sonst für einen Grund, sie zu tragen? Ist Fetischismus "normal"? Dieses Wort selbst ist problematisch geworden, es sei denn als Synonym für normativ. Viele Sexualpraktiken, die in der Vergangenheit als abnormal galten (zum Beispiel oral-genitaler Sex), sind heute weitgehend akzeptiert. Eine Abweichung, wie zum Beispiel die Neigung für hochhackige Schuhe als sexuelle Stimuli mögen trivial oder sogar lächerlich erscheinen. Aber andere, wie das rituelle Schlagen einer Frau in die Magengegend, um eine an die Vagina erinnernde Wunde zu schaffen, gehören zu den schrecklichsten Verbrechen der menschlichen Gesellschaft. Obwohl viele Formen sexuellen Verhaltens, die früher als pervers galten, in den letzten Jahrzehnten eine Legitimation erfahren haben, ist diesem Prozeß doch zwangsläufig eine Grenze gesetzt.