2. Kommunikative Aspekte
Sylvia Platzer
 
 
Wir alle sind, wenn wir kommunizieren, zahlreichen Erwartungen ausgesetzt und 
haben unsererseits selbst bestimmte Vorstellungen, wie sich andere verhalten 
oder aussehen sollten.
Der Teil der Kommunikation, der ohne Sprache stattfindet, wird als nonverbale 
Kommunikation bezeichnet.
Ruesch/Kees traf hierzu die folgende Begriffsbestimmung:
Sign Language: Gesten, die die Sprache ersetzen
    Action Language: Bewegungen, dazu gehört auch Gehen
    Object Language: Artefakte wie Wohnungseinrichtungen, Kleidung, sowie der 
    Körper selbst. 
     
2.1. Kleider- und Körpersprache als Form von nonverbaler Kommunikation
 
Kleidung stellt ebenso wie Gesichtsausdruck und Gestik eine wirkungsvolle 
Botschaft an unsere soziale Umwelt dar. Die Bedeutung entsteht aus der Wirkung, 
die es im Gegenüber auslöst. Die Doppeldeutigkeit von Kleidungsbotschaften ist 
kultur- und situationsabhängig. Die Decodierung vestimentärer Kommunikation wird 
von einer Vielzahl von Variablen beeinflußt, die sich im Zeitverlauf in ihrer 
Bedeutung verschieben.
Manipulationen des Körperimage werden durch die Ideale geleitet, welche 
körperliche Erscheinungsweise als attraktiv gilt, oder (in anderen 
Gesellschaften) als bedrohend, heilig, oder sonstwie erstrebenswert. In der 
westlichen Gesellschaft ist Attraktivität eines der wichtigsten Kriterien für 
die äußere Erscheinung.
Geht es bei der vestimentären Kommunikation um die Wirkung auf andere oder um 
narzistische Selbstdarstellung? Eine empirische Untersuchung von Hoffmann hat 
folgende Kodierungen für die Kleidersprache ermittelt:
 
 
Sexuelle Herausforderung
    Hingabe
    Soziale Macht
    Soziale Schwäche
     
2.1.1 Mehrdeutigkeit der vestimentären Kommunikation 
 
1. Sachebene
Kleidung kommuniziert zahlreiche Botschaften auf der Sachebene.
Gruppenstile oder Kleidung als visualisierte Statusdemonstration lassen 
Zusammengehörigkeitsgefühle mit gleichzeitigem Wunsch nach Abgrenzung von 
anderen
 
2. Der Beziehungsaspekt
Auf der Beziehungsebene der interpersonellen Kommunikation nehmen vestimentär 
vermittelte Botschaften einen breiten Raum ein. Bei Watzlawick kann der 
Beziehungsaspekt nicht nur Kommunikationsintentionen bestimmen und sich auf sein 
Encodierungsverhalten auswirken, sondern auch direkt zum Gegenstand der 
Mitteilung werden.
 
3. Der Appellaspekt
Zahlreiche appellative Möglichkeiten bieten sich durch die Kleidersprache an, 
wobei dies ausdrucks- und wirkungsorientiert sein kann.
 
2.1.2 Norm, Rolle und Status in der interpersonellen Kommunikation
 
1. Norm
Alle Kulturen, Gruppen und Gesellschaften haben ihre speziellen 
Bekleidungsnormen
Normverhalten unterliegt der dauernden Kontrolle durch die Gesellschaft.
 
 
 
2. Rollenerwartung und Rollenanforderungen
 
Man trifft die Entscheidung, welche vestimentäre Botschaft man vermitteln will, 
ob Konformität oder Protestverhalten, bereits beim Einkauf und später beim 
täglichen Anziehen.
 
3. Status-Demonstration
Die Kleidung hat für den Menschen eine wesentliche soziale als auch individuelle 
Bedeutung.
 
2.1.3 Evaluierung, Selektion, Segmentierung und Funktion der vestimentären 
Kommunikation
 
Mit der Feststellung einer kognitiv-semantischen Dimension der Kleidung ist ihre 
evaluative, sowie ihre präfertentielle ästhetische Dimension noch lange nicht 
geklärt.
Wir alle sind, wenn wir kommunizieren, zahlreichen Erwartungen ausgesetzt und 
haben unsererseits selbst bestimmte Vorstellungen, wie sich andere verhalten 
oder aussehen sollten.
 
2.1.4 Sozialpsychologische Aspekte der Schuhmode
 
Mode erfordert vom einzelnen äußerste Auseinandersetzung mit der Umwelt. Das 
Charakeristikum der Mode ist ihr ewiger Wandel. Durch Jahrhunderte herrschte 
eine strenge vestimentäre Reglementierung. In der neueren Geschichte vermindert 
sich die Eindeutigkeit und Verständlichkeit der Kleidersprache. Das Gebot der 
Stunde heißt "everything goes", die Chance der individuellen Selbstgestaltung 
ist gestiegen.
 
 
2.2 Mit Fußbekleidung kann man verschiedene Signale setzen:
 
Sich keine Schuhe leisten zu können bedeutet, zu den Ärmsten der Armen dieser 
Welt zu zählen.
Schuhe haben in erster Linie eine Schutzfunktion und dienen der besseren 
Fortbewegung. Ohne Schuhe oder mit ungeeignetem Schuhwerk kann man meist nicht 
so schnell (davon)laufen. 
Den Menschen unterscheidet vom Tier, daß Tiere keine Schuhe benötigen. 
In der Zivilisation fällt man auf durch Bloßfüßigkeit.
 
Der Schuh ist ein Symbol der Macht, weshalb wir sagen, "unter jemandes Pantoffel 
stehen" und "in seines Vaters Fußstapfen" treten. 
Die Schuhe sind der Teil unserer Kleidung, der am tiefsten unten ist, und 
stellen unseren Standpunkt in bezug auf die Wirklichkeit dar - wie fest wir mit 
den Füßen auf dem Boden stehen; wie fest die Erde uns trägt, zeigt das Maß 
unserer Macht an.
 
Schuhe spielen häufig eine Rolle in Märchen.
Ihnen werden Zauberkräfte zugesprochen ("Die Siebenmeilenstiefel"), sie werden 
mystifiziert oder personifiziert. Der "gestiefelte Kater" bekommt menschliche 
Züge durch seine Stiefel.
Der Schuster oder Pantoffelmacher ist meist ein angesehener Mann. Im Volksbrauch 
werden Stiefel vom Heiligen Nikolaus mit guten Dingen gefüllt.
Im Märchen "Aschenputtel" manifestiert sich der Unterschied zwischen dem 
Aschenputtel und seinen Stiefschwestern deutlich an einem Körperteil: an der 
Beschaffenheit der Füße. 
Aschenputtels Füße sind klein und zierlich. Sie entsprechen eher dem Klischee 
der Kindfrau, die Beschützerinstinkte wecken. In der chinesischen Tradition 
wurden den weiblichen Kleinkindern die Füße eingebunden, um deren Wachstum zu 
verhindern. Die daraus resultierenden verkrüppelten Füße behinderten die 
erwachsenen Frauen beim Gehen - dies auch im übertragenen Sinn: Die 
(Entwicklungs-)Schritte weg vom Eltern- und später vom Ehehafen blieben 
entsprechend klein und ungefährlich. Im Märchen wird über den Pantoffel, der 
"klein und zierlich und ganz golden" ist, der Unterschied zwischen Aschenputtels 
Schönheit und der Schönheit der Schwestern, die große Füße haben, im Sinne von 
derb, unfein, aufgezeigt.
Der Zusammenhang zwischen Fußbekleidung und sexueller Attraktivität läßt sich in 
Werbung und Mode leicht erkennen. Ein Frauenbein in einem hochhackigen Schuh ist 
erotisierend.
Die sexuellen Bedürfnisse der Frauen wurden über lange Zeit und in nahezu allen 
Kulturkreisen unterdrückt und kontrolliert. Diese Unterdrückung ist eine Folge 
des Prozesses, den Sigmund Freud mit seinem Satz "Die Kultur geht auf Kosten der 
Weiblichkeit" beschrieben hat. Die Fähigkeit zu gebären, die Fruchtbarkeit und 
die Nähe der Frau zum Körperlichen machten sie dem Mann im Umgang mit der Natur 
überlegen. Im gleichen Maße, in dem der Mann die Natur unter Kontrolle brachte, 
wurde auch die Frau unterdrückt. Natur, Trieb, Irrationalität, Sexualität - 
alles, was gefährlich, unberechenbar und unkontrollierbar schien - wurden der 
Weiblichkeit zugesprochen. Das Weibliche wurde abgespalten, in den Untergrund 
gedrängt, um es zu entmachten. Im christlichen Kulturkreis wurde die Sexualität 
"verteufelt". Die Sündenböcke zur Kontrolle der Sexualität wurden die Frauen. 
Aktiv, zielorientiert, fordernd und mächtig zu sein ist ein für Frauen 
tabuisiertes Verhalten. Handeln sie trotzdem so, müssen sie sich dem Verdacht 
der Vermännlichung aussetzen. 
 
In der Terminologie von Erich Fromm dürfen Frauen "sein". "Haben" ist für sie 
tabu.
Forderungen für sich selbst zu stellen ist unbescheiden. Manche Frauen, die für 
Kleidung mehr Geld ausgeben, haben ein schlechtes Gewissen. Sich selbst etwas zu 
gönnen, gilt als egoistisch. Frauen strengen sich an, von ihrer Umgebung geliebt 
zu werden. Diese Tendenz macht innerlich und äußerlich abhängig und verhindert 
vermehrte Selbstbestimmung. Daß ihr Aussehen, ihr Körper und ihre erotische 
Anziehung ihr weibliches Machtpotential sind, ist Frauen klar. Das Tabu beginnt 
dort, wo Frauen ihre Weiblichkeit benutzen, um in männliches Hoheitsgebiet 
vozudringen. Sexuelle Attraktivität fordert man von Frauen allerdings nur im 
privaten, kontrollierbaren Rahmen. Erotisch zu sein ist eine Dienstleistung, die 
Frauen für Männer erbringen sollen, aber keinesfalls für sich selbst und ihre 
eigenen Ziele.
So urteilen fünf Sozialwissenschaftlerinnen aufgrund einer Untersuchung zum 
Thema Frauen und Geld.
 
Sprichwörtlich verwendet heißt es: 
"Schuster bleib bei deinem Leisten." Unheil kommt "auf leisen Sohlen". Brüskes 
Verhalten oder die Flucht ergreifen heißt: "Sich am Absatz umdrehen".
"Das ist ein Bloßfüßiger", damit beschimpft man einen, der von nichts eine 
Ahnung hat.
"Jemanden auf die Zehen steigen". "Jemandem Beine machen". "Auf großem Fuß 
leben". 
Schuhe können Gegenstand extremen Kaufverhaltens sein. Ein berühmtes Beispiel 
hiefür ist Imelda Marcos, die attraktive Gattin des ehemaligen philipinnischen 
Diktators. Nach ihrer Flucht ins Exil fand man ein ungeheuer große Ansammlung 
von Schuhen. 
 
2.3 Schuhe sind Teil der Körpersprache
 
Sich auf den ersten Blick ein so genaues und treffsicheres Bild vom anderen 
machen zu können, ist ein alter Menschheitswunsch. Man wünscht sich 
Urteilskraft, um die Mitmenschen zu demaskieren, zu enthüllen, zu durchschauen, 
um die Schutzwände aller angenommenen, angelernten und unechten Handlungen zu 
durchdringen.
Wenn man das Rätsel lösen will, das jeder Mensch für seine Mitmenschen bedeutet, 
dann muß man etappenweise vorgehen: erstens Beobachtung, zweitens Betrachtung 
des Beobachteten und drittens die Schlußfolgerung ziehen.
Die Beobachtung setzt Neugierde verbunden mit einem Hang zum Voyeurismus voraus. 
Weiters benötigt der ideale Beobachter Geduld und Ausgeglichenheit. Die allzu 
Aktiven sind keine guten Beobachter. Absolut notwendig ist auch Toleranz. 
Werturteile, Vorurteile, Prinzipien, Wertmaßstäbe wirken sich als Scheuklappen 
aus, die das Beobachtungsfeld einengen. Aversion, heftige Abneigung verzerren. 
Der unparteiische, objektive Beobachter existiert nicht. Der Mensch bringt seine 
eigenen Dimensionen ein. 
 
Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts hat die Wissenschaft begonnen, den 
Menschen selbst zu erforschen. Immer noch tasten die Wissenschafter die 
unsichere Grenze zwischen ererbten und erworbenen Fähigkeiten ab.
Es gibt keine Geste mit allgemein verbindlicher Bedeutung. Jede Kultur 
entwickelt ihre eigenen verbalen und nonverbalen Ausdrucksmittel. Ein einziges 
Indiz (z.B. Schuhe) kann zu unzähligen Hypothesen über den Benützer führen. 
Es besteht die Gefahr einer vorschnellen und einseitigen Interpretation, 
Schlußfolgerungen, die sich herleiten aus kulturellen Verschiedenheiten, aus der 
Person des Beobachters und aus der individuellen Geschichte des Beobachteten. 
Wo die Worte lügen, legt der Körper ein Geständnis ab. 
 
 
 
 
2.5 Körpersprache wird durch folgende Eindrücke vermittelt:
 
Visuelle Eindrücke
wie z.B. die körperliche Erscheinung, Haltung, Bewegungen, Tempo, Gangart, 
Beweglichkeit, Rhythmus, Körperpflege, Kleidung, Accessoires, Gefühlsreaktionen.
 
Gehöreindrücke
dazu gehören Geräusche, die der Körper mit Hilfe von Objekten erzeugt -
so kann man zum Beispiel auf leisen Sohlen daherkommen, mit Stöckelschuhen 
klappern oder Aufmerksamkeit durch genagelte Schuhe erregen wollen
 
Geruchseindrücke
Ledergeruch kann erotisierend sein. Schuhe können aber auch Schweißfüße 
bedingen.
 
Berührungseindrücke
Von zufälligen, unabsichtlichen Berührungen der Füße, bis zum auf die Zehen 
treten. Das Küssen der Schuhe ist eine höchst devote Geste - ähnliches 
symbolisieren Fußwaschungen - oder Ausdruck sexueller Vertraulichkeit.
 
Frauen lassen sich in stärkerem Maße von der Stimme beeinflussen als Männer. 
Männer begeistern sich mehr für visuelle Reize.
Jenseits der Körpersprache, die wir feststellen und beschreiben können, wird ein 
Kommunikationssystem wirksam, das sich bis heute jedem Zugriff der Beobachtung 
entzieht. Dies sind willkürliche und unwillkürliche Signale, die der Beobachtete 
aussendet. 
Edmund Husserl unterscheidet zwischen "Ausdruckssignalen", die etwas aussagen 
wollen und den "Zeichen", die nichts Bestimmtes aussagen sollen.
 
2.6 Zum Sozialen Verhalten 
 
(William James "Principles of Psychology"):
Man kann sagen, daß jeder ebensoviele verschiedene Persönlichkeiten hat, wie es 
unterschiedliche soziale Gruppen gibt, deren Meinung in seinen Augen zählt. 
Jeder Mensch zeigt im allgemeinen jeder dieser sozialen Gruppen einen anderen 
Aspekt seiner selbst. 
Das soziale Verhalten stellt eine wesentliche und grundlegende Dimension des 
Menschen dar. Seine Persönlichkeit entsteht aus der endlos wiederholten 
Konfrontation mit dem anderen Individuum.
Die Veränderungen an unserer Persönlichkeit, die wir bewußt und aus Absicht auf 
uns nehmen, um in verschiedenen sozialen Gruppen Eingang zu finden und uns dort 
einzugliedern, sind ein Kompromiß zwischen unseren Instinkten und den sozialen 
Forderungen der Gruppe. 
(Robert Ezra Park "Race and Culture"):
Das Wort "Person" bedeutet in seinem ursprünglichen Sinne eine Maske. Es ist 
vielmehr die Erkenntnis, daß jedermann immer und überall mehr oder weniger 
bewußt, eine Rolle spielt. In diesen Rollen erkennen wir uns gegenseitig und 
erkennen wir uns selbst. In einem bestimmten Sinn - und soweit sie die 
Vorstellung, die wir von uns selbst haben, darstellt - ist die von uns 
angestrebte Rolle also unsere Maske oder unser wahres Selbst, das Ich, das wir 
sein möchten.
Auf die Dauer wird uns die Vorstellung von unserer Rolle zur zweiten Natur und 
zu einem Bestandteil unserer Persönlichkeit. Wir kommen als Individuum zur Welt, 
wir erfinden uns Rollen, und wir werden eine Person.
 
2.7 Extravertiertheit und Intravertiertheit
 
C. G. Jung hat den Extravertierten als Individuum charakterisiert, das sich 
stets den Standpunkt der Mehrheit aneignet. Es handelt sich zumeist um heitere 
Menschen, zugänglich, weltoffen, voller Interesse für Menschen und Dinge. Er hat 
unter anderem einen festen und freien Gang 
(17. Jh.: Jean de La Bruyere ind seinem Hauptwerk "Les Caracteres").
Diesem geistig-seelischen Grundtypus stellt er den "Introvertierten" gegenüber, 
den er als verschlossene Natur, schwer zu durchschauen und häufig mißtrauisch 
beschreibt. 
Menschliches Verhalten spielt sich zwischen den zwei Polen ab: Außenwelt und 
Ich. Der Introvertierte richtet sein Interesse auf die Innenwelt, auf das Ich, 
und kehrt sich von der Außenwelt ab. Der Introvertierte verwirft grundsätzlich 
den Standpunkt der Mehrheit, und zwar aus dem Grund, sich einem Modestandpunkt 
nicht anschließen zu wollen. 
Passanten auf der Straße lassen, ohne es zu wollen, durch Haltung und Gangart 
erkennen, wo der augenblickliche Anziehungspunkt liegt, auf den sie innerlich 
ausgerichtet sind. Wenn jemand sich in Anwesenheit eines anderen von einem 
Kleidungsstück trennt, ist das ein Zeichen für seine offene Einstellung 
gegenüber dem anderen.
 
2.8 Konformismus und Nonkornformismus
 
Wir alle sind unablässig sozialen Zwängen ausgesetzt. Sie bestimmen unsichtbar 
und unausweichlich unser Leben bis in die kleinsten Einzelheiten. Wir sind 
eingespannt in ein dichtes Netz von Konventionen und Vorschriften.
Bestimmte Menschen fühlen sich eins mit den Ansprüchen der Gesellschaft; sie 
assimilieren sich ihren Regeln so ohne jeden Bruch, daß sie sich mit deren 
Inhalten zu identifizieren vermögen. Diese Menschen unterwerfen sich sozialen 
Forderungen, ohne auch nur darüber nachzudenken, eben weil sie es natürlich 
finden; sie würden niemals den Versuch machen, sich ihnen zu entziehen. Das sind 
die Konformisten mit ihrem fügsamen und braven Naturell.
Die Nonkonformisten stehen den Vorschriften und Sitten der Gesellschaft hingegen 
kritisch gegenüber. Sie fühlen sich in ihrer Unabhängigkeit beeinträchtigt und 
meinen, daß die ihnen aufgezwungenen Konventionen und Normen ihre 
Persönlichkeit, ihre Phantasie und ihre schöpferischen Fähigkeiten einschränken. 
Man kann sie nicht bequem dirigieren, aber die originellen Ideen und neuen 
Geichtspunkte, die manche von ihnen entwickeln sind oft interessant.
 
Ganz allgemein kann man sagen, daß der Grad unserer Anpassung an die 
Vorschriften, nach denen wir unsere äußere Erscheinung und unser soziales 
Verhalten ausrichten, zugleich beweist, inwieweit wir mit der Gesellschaft, die 
diese Vorschriften diktiert, einverstanden sind. Die Weigerung, sich anzupassen, 
läßt eine ablehnende Haltung gegenüber der Gesellschaft erkennen, die viel 
tiefgreifender ist, als es den Anschein hat. Jemand, der sich anders kleidet als 
die Leute, in deren Mitte er seit jeher lebt, stellt damit zugleich die 
Lebensweise, Sitten, Moral und Ideologie, die diese Gruppe prägen, in Frage. 
 
Zwischen Rebellentum und Provokation einerseits und striktem Konformismus 
andererseits öffnet sich ein breiter Fächer von Verhaltensweisen, die 
Abhängigkeit und Unabhängigkeit in wechselnden Kombinationen demonstrieren. 
 
Zu den Nonkonformisten zählt man auch die Leute, die geschickt zwischen beiden 
Verhaltensweisen pendeln, was ihnen ein Maximum an Vorteilen verschafft. Das 
Mischungsverhältnis, das jeder einzelne für sich wählt, zeigt sich sehr oft im 
Stil seiner Kleidung und äußeren Erscheinung.
 
Früher war der Unterschied im Geschlecht bereits im Babyalter durch die Farbe 
Blau oder Rosa gekennzeichnet. Heute beobachten wir eine entgegengesetzte 
Entwicklung: wir erleben den Triumph des Unisex, der Einheitsmode beider 
Geschlechter. Erscheinung, Sprachgewohnheiten und Verhaltensweisen der Jugend 
sind heute kennzeichnend für eine Altersklasse und nicht für das eine oder 
andere Geschlecht.
 
Die Unisexmode in der Kleidung, in der Erscheinung und im Verhalten stellt uns 
bei der Deutung der Körpersprache vor manches Problem. Wenn ein Individuum 
früher einen oder mehrere typisch männliche oder weibliche Wesenszüge besonders 
betonte, so betrachtete man das als unwiederlegbare Beweise von Männlichkeit 
bzw. Weiblichkeit. 
 
Hinter Nonkonformistischer Kleidung vermutet Claude Bonnafant ein boshaftes 
Vergnügen, um brave, konservative Bürger herauszufordern, und genießen deren 
Entrüstung. 
Er führt die Unisexmode auf folgende Phänomene zurück: die allgemeine 
Protesthaltung, die Ablehnung der spezifischen Geschlechterrolle, die unser 
Kulturbereich vorschreibt und schließlich ein, wie er sich ausdrückt, "auf die 
Spitze getriebener Feminismus". Relativiert allerdings, daß in der Mehrzahl der 
Fälle die Frau nur erkennen lassen will, daß sie die Rolle des erotischen 
Objekts, das das Begehren der Männer wecken, wachhalten und erfüllen soll, von 
sich weist. Somit ein Ausdruck des Widerstandes gegen die traditionelle 
Passivität der Frauenrolle.
 
Die Jugendlichen ziehen gegen die Rollenverteilungen unserer Zivilisationen zu 
Felde, die die sexuellen Verhaltensmuster festgeschrieben hat; sie kämpfen für 
eine Weiterentwicklung und Erneuerung dieser Rollenverteilung.
Die Frage nach dem "warum" ein Mensch das tut, was er tut, die Erforschung der 
Verhaltensmuster von Individuen wird aus dem Kontext der Beziehungen, die 
geknüpft und unterhalten werden, beantwortet. Verhalten hängt von Kommunikation 
und Interaktion ab.
Nach Watzlawick ist alles Verhalten Kommunikation. Es gibt in jeder 
Kommunikation viele Informationsebenen und eine davon betrifft stets die 
Beziehung, innerhalb der die Kommunikation stattfindet. Der Fluß kommunikativer 
Vorgänge besteht aus einer Serie sich überschneidender Triaden: Reiz, Reaktion 
und Verstärkung.
2. 9 Der Mythos der Normalität
 
Der Mythos der Normalität beeinflußt nicht nur die Schicksale jener, die als 
abnormal beurteilt werden auf eine heimtückische Art und Weise, sondern auch die 
Lebensgewohnheiten von uns allen.
Die Zweiteilung der Menschheit in Normale und Abnormale resultiert aus dem 
Zwang, alle menschlichen Aktivitäten zu klassifizieren. Diese Art der 
Klassifizierung ist ein Teil unseres Bemühens, das Leben zu vereinfachen und 
unsere Erfahrung mit einer schützenden Mauer zu umgeben. Je alltäglicher unsere 
Erlebnisse sind, desto wohler fühlen wir uns. 
Alles was außerhalb der täglichen Erfahrung liegt, erzeugt Angst und wird als 
abwegig, "zufällig, übernatürlich, verrückt" bezeichnet, damit wir nicht zugeben 
müssen, daß wir es ganz einfach nicht verstehen. Man bemüht sich das Verhalten 
und die Beobachtungen menschlicher Persönlichkeiten zu klassifizieren, denn 
unbekannte Kräfte, die jeder Mensch in sich hat und die zwischen den Menschen 
wirksam sind, erzeugen die meiste Angst und sind daher am schwersten zu 
beeinflussen. Wie verrückt einem eine Person erscheint, hängt vom eigenen 
Bezugssystem und den Grenzen der eigenen Erfahrung ab.
 
Das Denken in Vereinfachungen ist selbst bei Fachleuten durchaus üblich. Der 
Schluß vom Tier auf den Menschen wird von manchen Theoretikern mit erstaunlicher 
Leichtigkeit vollzogen, ohne die größere Subtilität und Komplexität menschlichen 
Erlebens zu berücksichtigen.
 
Die Unterscheidung zwischen normalen und abnormalen Persönlichkeiten, die in der 
starren Annahme zum Ausdruck kommt, die individuellen Grenzen seien festgelegt 
und angeboren, ist für die Menschen sehr praktisch und wird in höchst schamloser 
Weise für eigennützige und unmenschliche Zwecke mißbraucht.
 
Unter der Annahme, daß es eine "normale" Person nicht gibt, sondern eine 
Vielzahl adaptiver Muster und Verhaltensmöglichkeiten ist die Schlußfolgerung, 
wie sich eine Person verhält, von der Kultur, der Subkultur, der ethnischen 
Gruppe und der Familie ab, in der sei lebt abhängig. Wir vergessen leicht, daß 
sich Werte ändern, da wir so oft neue annehmen und alte vergessen.




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